Patrick gibt Impulse, dann rappen die Kids schon mal los.Foto: V. Klum
Schrille Töne hallen durchs Treppenhaus, Schritte sind zu hören, drei Jungs und zwei Mädchen im Alter von neun und zehn Jahren drängeln sich in den Raum. "Ihr hört euch an, als braucht ihr Mikrofone", begrüßt Patrick die Kinder. Arda schnappt sich eines und legt los mit "Beatboxen", das heißt, er macht mit seinem Mund rhythmische Geräusche wie die eines Perkussions-Instruments, dabei umschließen seine Hände fest das Mikro. Seine kleine Vorstellung beendet er mit einem Rülpser, die anderen Kinder lachen.
Patrick Rutenbeck betreut das Hiphop-Musikprojekt "Rap macht Schule" in der "Spiel- und Lernstube" - kurz "Spule". Hier leistet der Caritasverband für den Bezirk Limburg e.V. Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen des Stadtteilprojekts in der Limburger Nordstadt. Patrick macht selbst Rap-Musik und wirkt mit seinem roten Strickbeanie und dem langen Kinnbart sehr authentisch. Er ist sowohl Tontechniker als auch Heilerziehungspfleger. Den Hiphop-Workshop bietet er zweimal pro Woche im Nachbarschaftszentrum an. Er ist für die Kids da, eine feste Gruppe mit 15 Kindern. Hier lernen sie, Hemmungen abzubauen, mit Sprache und Klängen zu experimentieren, Texte zu schreiben und Beats zu bauen. Patrick entwickelt mit ihnen gemeinsam die Tracks.
Die Macht des Wortes entdecken
Für die Tracks experimentieren die Kids mit verschiedenen Instrumenten.Foto: V. Klum
Bei den Texten sind es die Themen der Kinder, die im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel Schule, Fußballstars oder auch die Frage, was mal ist, "wenn ich groß bin". Sie suchen die passenden Worte und coole Reime. "Spule", das reimt sich doch auf "Schule", und schon entsteht ein kurzer Text für den nächsten Track. Patrick gibt ihnen ein paar Impulse und lässt die Kinder dann machen, kreativ werden. "Sie können frei sprechen und sehen, welche Macht das Wort hat. Das ist eine super Sozialisation, die da stattfindet, und eine Auseinandersetzung mit Sprache." Dabei darf auch mal gesagt werden, dass die Schule doof ist. "Aber dann müssen sie auch erklären, was genau sie nervt und was man besser machen oder verändern könnte", betont Patrick. Auch das Erdbeben in der Türkei und Syrien hat die Kinder sehr beschäftigt, so dass sie dazu einen Track aufgenommen haben, in dem sie ihre Gedanken und Gefühle zur Katastrophe verarbeiten konnten.
Mit Projekten Unterrichtsausfall während der Pandemie kompensieren
Mit dem Mikro in der Hand steigt das Selbstvertrauen!Foto: V. Klum
Der Nachholbedarf durch den Unterrichtsausfall in der Corona-Pandemie ist riesig, gerade für die Kinder aus bildungsfernen Familien, oft auch mit Migrationshintergrund. Für Jürgen Eufinger, der die Caritas-Gemeinwesenarbeit in der Limburger Nordstadt leitet, ist das immer wieder deutlich spürbar "Für die Kinder hat Home Schooling vorne und hinten nicht funktioniert. Sie sind die großen Verlierer der Pandemie." Denn der Unterrichtsausfall habe für sie tatsächlich eins bedeutet: Kein Unterricht. Sie waren sehr isoliert und die Wohnraumsituation aufgrund der Enge darüber hinaus eine große Belastung. "Die Pandemie hat für diese Kinder erhebliche Einschränkungen mit sich gebracht. Daher haben wir uns direkt auf den Weg gemacht und Zuschüsse beim Sonderprogramm "Löwenstark" beim Land Hessen beantragt", berichtet Eufinger. Da die Defizite auf unterschiedlichen Ebenen entstanden sind, gibt es verschiedene Bausteine, um dem Nachholbedarf im Sinne eines umfassenden Bildungsbegriffs zu begegnen. Neben der Bildung werden daher auch die Persönlichkeitsentwicklung sowie die körperliche und psychische Gesundheit in den Blick genommen.
Zümra ist neun Jahre alt, sie will einmal Polizistin werden. Ihren Text hat sie schon geschrieben, muss ihn aber noch auswendig lernen. "Das Ende ist so schwierig", klagt sie, es lautet: "Ich verhafte alle Gangster und schicke sie hinter das Gefängnisfenster." Zümras Spitzname als Rapperin ist "Lakaka", das hat sie sich selbst ausgedacht, weil sie den Klang des Namens toll findet. Was ihr hier besonders gefällt? "Musik machen und singen." Für das Stadtteilfest im Sommer hatte die Gruppe eine Performance erarbeitet und aufgeführt, das hat richtig Selbstvertrauen gegeben. Es motiviert die Kids, wenn sie auftreten dürfen, wenn sie vor dem Mikro stehen oder ihre eigenen Aufnahmen anhören. Sie sind dann mit großer Ernsthaftigkeit dabei, experimentieren mit Klängen, mit Instrumenten wie Keyboard oder Tamburin, sie nehmen Töne im Raum auf, zum Beispiel eine kreiselnde Münze auf der Sitzfläche eines Stuhls aus Holz oder das Knistern von zusammengeknülltem Papier. Die daraus entstandenen Tracks bearbeitet Patrick in seinem Tonstudio und gibt sie den Nachwuchsrappern nach Hause mit, wo sie dann dazu ihre Texte üben können. "Der Part muss auswendig gehen, irgendwann macht es ‚Klick‘ und dann klappt es auch mit dem Rhythmus."
Ein Fundament für das weitere Lernen legen
Neben dem Musikprojekt findet im Nachbarschaftszentrum auch ein Bewegungsprojekt mit Yoga und Tanz statt, in Absprache mit den Klassenlehrern der Leo-Sternberg-Schule gibt es außerdem individuelle Förderkurse. Dafür konnte die Caritas Edith Pietsch gewinnen. Die Rentnerin war vor vielen Jahren als Erzieherin in der Nordstadt tätig und betreut derzeit drei Grundschulkinder einmal in der Woche jeweils eine Stunde. Die Kinder sind acht, neun und zehn Jahre alt, waren also als Schulanfänger von der Corona-Pandemie besonders schlimm betroffen. Wichtig ist Edith Pietsch, deren Freude am Lesen und Scheiben zu wecken. Sie gestaltet den Förderkurs bunt und spielerisch, um die Motivation der Kinder zu steigern. Mit Erfolg: "Die Lücken, die bei den Kindern vor anderthalb Jahren vorhanden waren, sind nun gut geschlossen." Und die Fundamente für weiteres Lernen sind gelegt. "Da kann man nun etwas drauf setzen wie einen Legostein auf den anderen", freut sich Edith Pietsch. Gerade bei den Kindern anderer Nationalitäten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, bringe die Zuwendung einer Eins-zu-eins-Betreuung sehr viel. Das motiviert die Kinder und schafft eine gute Grundlage, auf der die Kinder auch später bei ihrer Berufsausbildung aufbauen können, findet Pietsch.
Das Aufholen von Bildungsdefiziten, die Stärkung von Sozialkompetenzen, das Kompensieren des Erlebten in der Coronazeit - all das ist wichtig für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen. Die vielfältigen Angebote, die die Caritas-Mitarbeitenden in der Limburger-Nordstadt entwickelt haben, sollen dabei helfen und sie fit für später machen. Damit sie nicht mehr abgehängt sind, sondern starke Kids.
Unter dem Motto #starkekids rückt die Caritas im Bistum Limburg vom 17. Oktober bis zum 15. November das Thema "Kinderarmut und Bildung" in den Mittelpunkt. Damit Kinder und Jugendliche gut aufwachsen und ein selbstbestimmtes Leben führen können, unterstützt die Caritas sie und ihre Familien mit verschiedenen Bildungsprojekten, Diensten und Einrichtungen vor Ort. Dabei geht es sowohl um konkrete Hilfen, Unterstützung und Beratung in unterschiedlichen Lebenslagen als auch um die Vermittlung von Werten sowie die Stärkung des Selbstbewusstseins. Die Artikelserie ist ein Beitrag zu den bundesweit laufenden "Armutswochen". Die Caritas sensibilisiert mit den Aktionswochen für das Thema Armut.
Die weiteren Beiträge der Artikelserie finden Sie auf www.dicv-limburg.de.